2015 - 2.11.2015 - Brief an den Fraktionsvorsitzenden der Bergedorfer SPD

Michael Ostendorf

Allermöher Deich 99

21037 Hamburg

Hamburg, 2.11.2015

Sehr geehrter Herr Kleszcz,

nun habe ich seit einigen Tage zwei Schriftstücke aus Ihrer Feder vor mir. Zum einen das „Rote Rathaus“ 03/15 sowie Ihren Brief (vom 26.10.2015) als Antwort auf mein Schreiben vom 13.10 2015 bezüglich der Bebauung des Gleisdreiecks Billwerder. Erst einmal möchte ich Ihnen danken, dass Sie sich die Mühe der Beantwortung gemacht haben!

Dennoch möchte ich einen weiteren Schritt im kritischen Diskurs gehen und mich dabei auf Ihre Schreiben aber auch auf die Senatsdrucksache Nr. 2015/1960 vom: 05.10.2015 - Berichterstattung: Senatorin Dr. Stapelfeldt, Staatsrat Kock beziehen.

Wenn ich es richtig wahrnehme, beziehen sich alle Ihre Aussagen inhaltlich auf genau dieses Schreiben und damit auf die vorgedachte Senatslinie. Zitat: „In diesem Rahmen ist in den entsprechenden Schritten zur Beteiligung der Öffentlichkeit die gesamtstädtische Stadtentwicklungsperspektive zu vermitteln.“ (Quelle: Senatsdrucksache 2015/1960, Seite 5, Unterstreichung von mir)

Lassen Sie mich Ihre Haltung kurz zusammenfassen: Unter dem Druck der großen Flüchtlingszahlen, ist es der Stadt Hamburg nicht anders möglich, als große Flächen kurzfristig und schnell zu überplanen und zu bebauen. Die dabei möglicherweise auftretenden Probleme hat der Senat - besser: hat die SPD - im Blick und wird darauf angemessen und verantwortungsvoll reagieren. Lassen Sie uns nur machen. Wir schaffen das.

In diesem Duktus nehme ich Ihre geschriebenen Worte wahr. Und in Ihrem Antwortschreiben vom 26.10.2015 gehen Sie eigentlich überhaupt nicht konkret auf die von mir geäußerten Gedanken ein. Sie wiederholen die öffentlich bekannten Punkte der vorformulierten Senatslinie und schließen: Zitat: „Allein im September waren es mehr als 10.000. Mit kleinen Einrichtungen kommen Sie da auf Dauer nicht weiter. Und da sich an dieser Situation vermutlich in den nächsten Monaten und womöglich Jahren wenig ändern wird, müssen wir jetzt schon vorausschauend das Unterbringungsproblem in den Griff bekommen. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass die befürchteten Schwierigkeiten vermieden werden können und wir die mit der aktuellen Flüchtlingssituation verbundenen Herausforderungen meistern können. In diesem Sinne werden wir auch das Projekt am Mittleren Landweg begleiten und die Sorgen der örtlichen Bevölkerung bestmöglich berücksichtigen. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, können Sie mich gerne an mich wenden…“ (Quelle: Brief der SPD Fraktion Bergedorf, Paul Kleszcz, an Michael Ostendorf von 26.10.2015, Unterstreichungen von mir )

Tatsächlich wirft Ihr Schreiben mehr Fragen auf als es beantwortet. Das ist schade! Unter diesem Eindruck habe ich dann Ihren Text im „Roten Rathaus“ (Rotes Rathaus 03/15, Postwurfsendung an alle Haushalte) gelesen. Im Tenor sagen Sie kurz das, was Sie auch mir geschrieben hatten. Nun fallen Formulierungen in der Kürze immer etwas prägnanter aus. Dennoch finde ich angesichts der gesamten Problematik und der Gedanken, die sich die Bevölkerung insgesamt macht, Formulierungen wie Zitat: „Der Zeitraum für die Bebauung ist sportlich…“ schwierig und Zitat: „viel Spaß beim Lesen“ (Quelle: S.o., Rotes Rathaus, Unterstreichungen von mir) mag bei mir auch nicht so recht aufkommen. Vielleicht ist es manchmal notwendig, „das Schwere leicht zu sagen“ (Hanns Dieter Hüsch), aber eigentlich fühle ich mich in dieser Art und Weise nicht ernst genommen. Mir drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass der Hamburger Senat und die Bergedorfer Kommunalpolitik samt Verwaltung die Bürgerinnen und Bürger als störendes Gegenüber wahrnimmt. Ein, zwei schnelle Informationsveranstaltungen um der Pflicht genüge zu tun. Beteiligung ist das nicht! Und vielleicht meint der Senat ja auch, die Bürgerinnen und Bürger gar nicht beteiligen zu müssen. Diese vor Ort befindlichen Menschen werden eigentlich gar nicht wirklich mit ihren Notwendigkeiten in den Blick genommen. Die Menschen, die die Integration eigentlich mit Leben füllen müssen, werden in all den mir zur Verfügung stehen Papieren komplett an den Rand geschoben. 

In einem Ihrer Sätze, lieber Herr Kleszcz, wird ganz klar, worum es geht Zitat: „Kleine Standorte mit ca. 500 Plätzen würden sich zwar einfacher in das Stadtteilumfeld einfügen. Aber bei den aktuellen Flüchtlingszahlen wird es nur mit kleinen Standorten nicht mehr funktionieren, die große Anzahl der Menschen schnell mit Wohnraum zu versorgen.“ (Quelle:  Rotes Rathaus 03/15, Postwurfsendung an alle Haushalte) Die Konsequenz dieser Aussage ist, dass Flüchtlingsunterkünfte nicht mehr in ein Stadtteilumfeld integriert werden sollen, sondern zukünftig als eigene Stadtteile fungieren sollen.

Meine Kritik bezieht sich nun tatsächlich genau auf dieses Ineinander von Bewältigung des aktuellen Notstandes der Menschen, die flüchten mussten und unbedingt Unterkunft benötigen und Stadtplanung bzw. Stadtentwicklung. An der geplanten Bebauung des Gleisdreiecks Billwerder wird das deutlich. Das ganze Areal temporär als etwaige Unterkunft bereit zu stellen ist etwas anderes als es städtebaulich in aller Kürze durchzusetzen. Zitat: „Es geht in diesem neuen und zusätzlichen Segment der Flüchtlingsunterbringung um neue, großflächige und dauerhafte Siedlungsflächen und damit um Stadtentwicklung und die langfristige Schaffung von dauerhaften Wohnquartieren, die von den Bewohnerinnen und Bewohnern angenommen und die von Investoren im Vertrauen auf eine dauerhafte Nachfrage errichtet werden. Alle Erfahrungen der Stadt- und Stadtteilentwicklung zur Vermeidung von überforderten Nachbarschaften und Segregation sind einzubeziehen…Im Ergebnis kann durch eine kluge und weitsichtige Belegungssteuerung das Risiko von überforderten Nachbarschaften beherrscht werden. Voraussetzung dafür ist, dass die öffentliche Unterkunft als Folgeunterbringung eingerichtet wird.“ (Quelle: Senatsdrucksache Nr. 2015/1960 vom: 05.10.2015, Seite 2-3, Unterstreichungen von mir) Die in diesem Satz benannten Bewohnerinnen und Bewohner sind keinesfalls die schon in der Nachbarschaft längst lebenden Menschen. Die Perspektive dieser Menschen und ihres sozialen Umfeldes sowie der Infrastruktur wird nicht schlüssig benannt oder bedacht. Dass es aber durchaus zu juristischen Konflikten kommen könnte, wird gesehen. Zitat: „Ein Aufeinanderfolgen von temporärem Flüchtlingswohnen und späterer dauerhafter Wohnnutzung auch für andere Bevölkerungskreise unterliegt unterschiedlichen planungsrechtlichen Zulässigkeiten. Eine Genehmigung der vorlaufenden Nutzung durch Flüchtlinge und Asylbegehrende kann dabei auf Grundlage der planungsrechtlichen Erleichterungen gemäß § 246 bzw. § 37 BauGB ggf. einschließlich erforderlich werdender Abweichungen vom Landschaftsschutz und erforderlicher naturschutzrechtlicher Ausgleichsmaßnahmen kurzfristig erfolgen. Da es sich insoweit um neue bzw. bisher wenig genutzte Zulässigkeitstatbestände handelt, können rechtliche Risiken insoweit zurzeit zwar nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Sie sind aber nach derzeitiger Erkenntnislage beherrschbar und angesichts des großen Handlungsdrucks bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden auch hinnehmbar.“ (Quelle: S.o. Senatsdrucksache, Seite 4-5, Unterstreichungen von mir) 

Dass Bürgerbeteiligung nicht eingeplant ist, ein rechtliches Risiko aber als beherrschbar angesehen wird, zeigt, wie die Stadt Hamburg und insbesondere die SPD hier agiert. Sollte es etwa nach dem Motto gehen, wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter? 

Genau diese Frage wurde schon auf der Informationsveranstaltung am 6.10.2015 aufgeworfen. Damals wurde aus dem Auditorium gefragt, ob eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geplant sei, oder ob diese Veranstaltung „Bürgerbeteiligung“ sein solle. Darauf antwortete Herr Kock sinngemäß, weiteres sei nicht geplant aber man könne ja klagen. Wir leben ja schließlich in einem Rechtsstaat. Tatsächlich entwickelt sich unsere Demokratie immer weiter weg von politische Teilhabe hin zu einem Rechtsstaat. Wieviele politische Entscheidungen haben in jüngster Vergangenheit einer juristischen Prüfung nicht standgehalten? 

Dass nun aber auch auf dieser Informationsveranstaltung wieder nur die halbe Wahrheit berichtet worden ist, macht mich ratlos. Denn schon damals lag ja dieses Papier der Senatsdrucksache vor, das von Staatsrat Kock selbst verfasst worden war und dieser nun auf dem Podium berichtete. 

Folgende Fakten hätten also klar und deutlich benannt werden können Zitat:

„Für eine erste Fläche am Mittleren Landweg in Bergedorf liegt ein konkreter Bebauungsvorschlag vor. Nach diesem Vorschlag sind hier rund 800 Wohnungen in viergeschossiger Bauweise geplant - Wohngebäude im Standard des öffentlich geförderten Wohnungsbaus, die sich im Stadtgebiet bereits mehrfach bewähren. Die Erschließung der Fläche und alle Hochbaumaßnahmen lägen in einer Hand, wodurch die Schlüsselübergabe im Jahre 2016 möglich wird. Die Investition erfolgte auf eigenes Risiko des Investors (FeWa Grundstücksgesellschaft). Vorgesehen ist eine Nutzung für Flüchtlinge über 15 Jahre, die Betreuung würde f&w übernehmen. Im Anschluss an die 15- jährige Nutzung sollen die Wohnungen im Bestand des Investors bleiben. Der Baubeginn soll noch im Jahr 2015 erfolgen. Auf die Ausführungen unter Ziffer 2 zur Belegungssteuerung wird verwiesen. Bei der weiteren Planung ist die Integration der Fläche in den Quartierszusammenhang bzw. in den weiteren Stadtraum vorzusehen. Es ist eine Wegeverbindung nach Neuallermöhe-West vorzusehen (Einkauf, Arzt, weiterführende Schule). Mit der Entscheidung für diese Fläche ist auch die Perspektive eines Siedlungsschwerpunktes mit weiteren Quartieren rund um die S-Bahnstation Mittlerer Landweg verbunden, um eine Isolation der neuen Siedlung zu vermeiden.“ (Quelle: S.o. Senatsdrucksache, Seite 7-8) Die wesentlichen Fakten, die nicht berichtet worden waren, sind:

  • Die Planung werden weiter fortgeführt werden. Diese Bebauung ist erst der Anfang
  • Die Wegeverbindung nach Neu-Allermöhe ist vorzusehen, die dortige Infrastruktur soll genutzt werden. (Ja, wird es denn nicht ausreichend Infrastruktur indem neuen „Stadtteil“ geben?)
  • Es wird zukünftig weitere Quartiere rund um den Mittleren Landweg geben


Meines Erachtens wurde hier bewußt verschwiegen, dass es viel weitreichendere Konzepte der Stadtentwicklung gibt. Diese werden nun unter dem „Druck der hohen Flüchtlingszahlen“ und unter „Umgehung der herkömmlichen Beteiligungsverfahren“ durchgesetzt. 

Lieber Herr Kleszcz, ein solches Vorgehen nenne ich nicht sportlich. Es ist schlichtweg undemokratisch und in dieser Form nicht rechtens.

Meines Erachtens wird durch so ein politisches Vorgehen die integrative Kraft der Menschen in unserer Gesellschaft wissentlich gefährdet. Dass sich einige nicht mehr wahrgenommen fühlen, kann ich durchaus verstehen.

Deshalb halte ich es für erforderlich, klar und deutlich zu agieren, die Menschen vor Ort einzubeziehen und den Zusammenhang von Bewältigung der Notlage der vielen Flüchtlinge und den gewollten städteplanerischen Vorhaben zu entkoppeln.


Mit freundlichen Grüßen 

Michael Ostendorf


P.S. Gerne möchte ich noch anmerken, dass das grün eingezeichnete neue „Naturschutzgebiet“ in Allermöhe im Anhang der Senatsdrucksache zu einem Großteil aus einer Fläche besteht, die Ausgleichsfläche für den Bau der A26 ist. Damit wäre diese Fläche „doppelt belegt“! Ob das so einfach funktionieren kann, frage ich mich ernstlich.

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